Kinder- und Jugendhilfe kann nur in gegenseitiger Kooperation der Beteiligten hergestellt werden. Die Leistungserstellung erfolgt koproduktiv, d.h. ohne Zusammenwirken der Adressat*innen und der Fachkräfte kann die Leistungserbringung nicht gelingen und liefe ins Leere. Es muss also immer wieder kommunikativ Bereitschaft zu gegenseitiger Koproduktion erzeugt werden.
Professionelles Handeln in der Kinder- und Jugendhilfe folgt zu diesem Zweck spezifischen Handlungsprinzipien, die für alle Aufgaben und Tätigkeitsfelder gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen. Kinder- und Jugendhilfe handelt:
- subjektorientiert. Dies gilt in doppelter Hinsicht: zum einen in Beachtung der objektiven Lebenslagen, also der gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die den Einzelnen Möglichkeiten der eigenständigen Lebensführung bieten oder diese behindern bzw. begrenzen; zum anderen in Beachtung der subjektiven Lebenswelt, also der sozialen Eingebundenheit und der damit unhinterfragt verbundenen Handlungs- und Deutungsmuster aus Sicht der Adressat*innen selbst. Dies erfolgt unter der normativen Perspektive, die Selbstbestimmung des Subjekts über ihre Lebensführung in und trotz dieser Lebenslagen und Lebenswelten zu maximieren.
- dialogisch. Wenn es darum geht, professionell die selbstbestimmte Lebensführung der Subjekte zu unterstützen, kann dies nur in einem gleichberechtigten Dialog mit ihnen geschehen. Kinder- und Jugendhilfe kann alternative Formen der Lebensführung vorstellen und attraktiv machen, aber letztlich haben die Individuen das Recht, für ihr Leben zu entscheiden, was sie tun wollen.
- partizipativ-demokratisch. Aus dem dialogischen Prinzip und der Maximierung der Selbstbestimmung folgt, dass die Einzelnen an Entscheidungen über ihr eigenes Leben sowie über die Lebensführung in den sozialen Zusammenhängen von Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe und darüber hinaus den sozialen Lebensverhältnissen in den Kommunen und der Gesellschaft insgesamt beteiligt sein müssen. Die Selbstbestimmung der Subjekte muss mit der kollektiven Mitbestimmung zusammengebracht werden.
- reflexiv. Kinder- und Jugendhilfe agiert in einem komplexen Feld. Sie hat es nicht mit Objekten zu tun, sondern mit Menschen, die über Eigensinn verfügen. Sozialpädagogisches Handeln muss diesem Eigensinn Rechnung tragen. Dies begrenzt „operatives Rezeptwissen“ und erfordert vielmehr stete situative Deutungs- und Handlungskompetenz. Wissenschaftliches Wissen und berufliche Erfahrung müssen also stets reflexiv und selbstkritisch auf den fallbezogenen Nutzen hinterfragt werden. Reflexivität richtet sich auch auf die Konzipierung und Hinterfragung der Realisierung von Jugendhilfe in den eigenen Organisationen und in den öffentlichen (kommunalen und staatlichen) Strukturen, gerade im Blick darauf, ob die eigenen Handlungsprinzipien und damit auch die Rechte der Adressat*innen beachtet werden.
- differenzbewusst und inklusiv. Die Individualität der Adressat*innen und ihrer Lebensumstände führt dazu, dass Kinder- und Jugendhilfe mit einer großen Unterschiedlichkeit von Menschen und Lebensbedingungen zu tun hat. Diese Unterschiedlichkeit darf indes nicht zu Ungleichheit und Ungerechtigkeit führen. Deshalb muss im Sinne der Subjektorientierung gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Menschen auch ihren jeweiligen Lebensbedingungen und Lebensweisen gerecht werdende unterschiedliche Angebote der Kinder- und Jugendhilfe bekommen. In diesem Sinne ist Kinder- und Jugendhilfe inklusiv.
- kommunal/sozialräumlich. Kinder- und Jugendhilfe findet in der sozialräumlichen Lebenswelt der Adressat*innen vor Ort statt. Deshalb ist die Struktur der Kinder- und Jugendhilfe lokal und an den sozialen und politischen Lebensbedingungen vor Ort ausgerichtet. Sie berücksichtigt die gesellschaftlichen, staatlichen, und globalen Auswirkungen auf das Leben der Subjekte, realisiert ihre Arbeit mit diesen jedoch auf kommunaler/sozialräumlicher Ebene.
- politisch. Kinder- und Jugendhilfe richtet sich nicht nur auf die individuelle Lebensführung der jungen Menschen und ihrer Familien aus, sondern immer auch an deren sozialen und gesellschaftlichen Lebenszusammenhängen. Anwaltschaftlich für ihre Adressat*innen und möglichst mit ihnen zusammen muss Kinder- und Jugendhilfe politisch handeln, sich also in die demokratischen Diskussionen und Entscheidungen um die Gestaltung der gemeinsamen Lebensführung in den Einrichtungen, in den Kommunen und in der Gesellschaft einbringen.
Sozialpädagogische Fachlichkeit fordert dazu auf, die subjektiven, gruppenbezogenen und alltäglichen Bedürfnisse der jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und dementsprechend auch die Infrastrukturen und Verfahren so zu gestalten, dass junge Menschen nicht nur ihre Bedürfnisse einbringen können, sondern dass die Angebote und Maßnahmen mit ihnen ausgehandelt und entlang ihrer Bedarfe alltäglich weiterentwickelt werden.
Literatur
- Böhnisch, Lothar/Thiersch, Hans/Schröer, Wolfgang (2005): Sozialpädagogisches Denken. Wege zu einer Neubestimmung. Weinheim u. München.
- Merchel, Joachim/Hansbauer, Peter/Schone, Reinhold (2023): Verantwortung in der Sozialen Arbeit. Stuttgart.