Die fachlichen Konzeptionsdebatten in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland sind durchzogen von Begriffen mit hoher legitimatorischer Bedeutung, die damit die fachlich normative Basis der Kinder- und Jugendhilfe prägen:
All diese zum Mainstream gehörenden Leitbegriffe sind jedoch von Ambivalenzen und Spannungsfeldern durchzogen, die für jede konzeptionelle, strukturelle und individuelle Situation kritisch reflektiert werden müssen.
In den handlungsfeldübergreifenden theoretischen Debatten der Kinder- und Jugendhilfe (Konzept offensiver Jugendhilfe, lebensweltorientierte Jugendhilfe, capability-approach) haben sich in den letzten Jahrzehnten verschiedene 'Leitbegriffe' herausgebildet, die bis heute immer noch als Hintergrundfolie zur Gestaltung von Konzepten herangezogen werden. Auch wenn sich diese in unterschiedlichsten Konzeptdebatten verwandten Begriffe von ihren theoretischen Bezügen oft mehr oder weniger losgelöst haben, haben sie weiterhin eine hohe legitimatorische Bedeutung und prägen die fachlich-normative Basis der Kinder- und Jugendhilfe, auch ohne dass sie jeweils mit umfassenderen theoretischen Orientierungen verknüpft werden. Sie haben sich gleichsam verselbständigt und sind zu Leitbegriffen mit normativer Ausstrahlung geworden.
Solche Leitbegriffe wie Partizipation, Empowerment, Prävention oder Inklusion etc. markieren normative Zielsetzungen als Grundlage für sozialpädagogisches Handeln und werden damit in den Konzeptdiskussionen zu Orientierungsmarken für eine 'gute' Kinder- und Jugendhilfe. Die Berechtigung oder Gültigkeit dieser Leitbegriffe wird nur selten angezweifelt; sie lassen sich in fachlicher und normativer Hinsicht als impliziter Konsens der Diskussionen in der Kinder- und Jugendhilfe betrachten. Diskurse drehen sich daher nicht um ihre Berechtigung, sondern zumeist eher um die Frage, ob und wie sie umzusetzen sind und wie sehr verschiedene Arbeitsansätze ihnen in Theorie und Praxis gerecht werden. In ihnen werden sowohl fachliche Erwartungen an die Kinder- und Jugendhilfe formuliert und Legitimationsmuster geprägt (das 'Was' und 'Warum' der Kinder- und Jugendhilfe) als auch Anforderungen an das methodische Handeln (das 'Wie' im Vorgehen der Akteure) charakterisiert.
Die o.g. konzeptionellen Leitbegriffe erscheinen auf den ersten Blick inhaltlich plausibel und finden bei Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe eine breite Zustimmung. In einer genaueren Betrachtung sind in ihnen jedoch Spannungsfelder und Widersprüche enthalten, die auf die Notwendigkeit eines reflektierenden Umgangs mit ihnen verweisen. Jeder Leitbegriff transportiert, wenn er in die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe 'übersetzt' wird, Ambivalenzen, bei denen unerwünschte Nebenfolgen oder auch paradoxe Anforderungen sichtbar werden.
Die Praxis in der Kinder- und Jugendhilfe oszilliert je nach Aufgabenfeld und konkret zu bearbeitender Aufgabenstellung immer zwischen den Polen zueinander in Widerspruch stehender Anforderungen und Erwartungen (z.B. zwischen Verantwortungsübernahme für ein Kind und der Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des Kindes). Professionelles sozialpädagogisches Handeln hat angesichts dieser Spannungsfelder für jede einzelne Aufgabe und in jedem Einzelfall immer wieder eine neue Balance zu finden und zu wahren, um ihrem Auftrag für die je spezifische Situation und für die je spezifisch betroffenen Menschen gerecht zu werden.