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Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

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Aufgaben und Handlungsfelder > Teilhabeleistungen

Teilhabeleistungen – Anspruchsgrundlagen

Mensch mit Behinderung (Definition in § 2 SGB IX) = Mensch, mit körperlicher, seelischer, geistiger oder Sinnesbeeinträchtigung, die ihn – in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren – an seiner gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindert oder durch die ihm eine solche Teilhabebeeinträchtigung droht.

Die Leistungsverantwortung zur Sicherung gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist auf verschiedene Rehabilitationsträger verteilt.

Die Kinder- und Jugendhilfe ist zuständiger Rehabilitationsträger für die Eingliederungshilfe für junge Menschen mit (drohender) seelischer Behinderung (§ 35a SGB VIII).

Anspruchsberechtigt ist der junge Mensch selbst.

  • Kinder- und Jugendpsychiater*in bzw. -psychotherapeut*in diagnostiziert seelische Beeinträchtigung, das Jugendamt die Teilhabebeeinträchtigung.

Die konkreten Leistungsinhalte werden durch das Teilhaberecht im SGB IX spezifiziert.

Erläuterung

Familie und Inklusion: Zwei Kinder sitzen an einem Tisch und malen / Family and inclusion: Two children sitting at a table and drawing

Leistungen zur Teilhabe sichern Menschen mit Behinderungen ihre (Menschen-)Rechte auf gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, zu deren Gewährleistung sich Deutschland spätestens mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 verpflichtet hat. Sie sind in verschiedene Teilhabebereiche untergliedert (medizinische Teilhabe, berufliche Teilhabe, Teilhabe an Bildung, soziale Teilhabe und materiell ergänzende Leistungen); die Leistungsverantwortung zur Sicherung dieser Teilhabebereiche ist auf verschiedene Rehabilitationsträger verteilt (z.B. Krankenkassen, Bundesagentur für Arbeit, Rentenversicherung, Träger der Jugend- und der Eingliederungshilfe).

Im Jahr 2015 wurde Deutschland von den Vereinten Nationen zum Umsetzungsstand der UN-BRK geprüft und im Rahmen dessen wurden einige Verbesserungsnotwendigkeiten festgestellt. Daraufhin wurde 2017 im Zuge des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) eine große Reform des Teilhaberechts in Kraft gesetzt. Eine der zentralen Neuerungen bestand in der UN-BRK-konformen Anpassung des Behinderungsverständnisses. Danach gilt ein Mensch als behindert und erhält damit Zugang zu Teilhabeleistungen, wenn bei ihm eine körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung vorliegt, die ihn – in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren – an seiner gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindert oder ihm eine solche Teilhabebeeinträchtigung bedroht ist (§ 2 SGB IX).

Wurde vorher kausal das Vorliegen einer Behinderung allein auf die individuelle Beeinträchtigung zurückgeführt (sog. pathologischer Behinderungsbegriff), sind nunmehr vor allem auch die konkreten Lebensbedingungen des Menschen mit einzubeziehen – in diesem Sinne sind Menschen nicht nur behindert, sie werden auch behindert (sog. bio-psycho-soziales Modell). Dieses Behinderungsverständnis wurde mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) 2021 auch als allgemeine Begriffsbestimmung in § 7 Abs. 2 SGB VIII für Kinder, Jugendliche, und junge Volljährige ausdrücklich hinterlegt. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang davon abgesehen, die für junge Menschen mit seelischen Behinderungen zentrale Hilfenorm des § 35a SGB VIII mit ihrem veralteten Behinderungsverständnis entsprechend anzupassen, sodass hier weiterer Anpassungsbedarf und mit Blick auf die allgemeinen Definitionen aus § 2 SGB IX und § 7 SGB VIII rechtliche Diskrepanzen bestehen.

Während die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe Rehabilitationsträger für die Eingliederungshilfe junger Menschen mit (drohender) seelischer Behinderung (§ 35a SGB VIII) sind, werden Kinder und Jugendliche mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung aktuell aus dieser Zuständigkeit ausgeklammert und dem Hilfesystem der für erwachsene Menschen mit Behinderungen zuständigen Eingliederungshilfe nach dem SGB IX zugeordnet (vgl. auch Kinder- und Jugendhilfe und Inklusion). Mit dem KJSG wurde ein Stufenplan festgelegt, diese geteilte Zuständigkeit bis 2028 zu beseitigen und stattdessen perspektivisch Hilfen aus einer Hand des Jugendamts für alle Kinder – ob mit oder egal welcher Behinderung – zu gestalten (vgl. Kinder- und Jugendhilfe und Inklusion und Inklusion).

Anders als für Hilfen zur Erziehung (vgl. Hilfen zur Erziehung) – aber genauso wie beim Kita-Rechtsanspruch – liegt die Anspruchsberechtigung für Teilhabeleistungen nicht bei den Personensorgeberechtigten, sondern bei dem Kind oder Jugendlichen selbst, wenngleich diese in der Inanspruchnahme regelmäßig durch ihre sorgeberechtigten Eltern vertreten werden. Hierfür bedarf es zunächst der Diagnostik einer seelischen Beeinträchtigung durch Kinder- und Jugendpsychiater*innen oder Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen (§ 35a Abs. 1a SGB VIII). Anschließend prüft das Jugendamt, inwiefern der junge Mensch in seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. ihm eine solche Beeinträchtigung droht.

Wird ein Hilfeanspruch bejaht, ergeben sich die konkreten Leistungsinhalte über die im Teilhaberecht des SGB IX spezifizierten Regelungen, auf die § 35a Abs. 3 SGB VIII verweist. Hierzu gehören insbesondere die Leistungen zur Teilhabe an Bildung (z.B. Schulbegleitung, § 112 SGB IX) sowie Leistungen der sozialen Teilhabe (z.B. das Leben in einer Pflegefamilie, § 113 Nr. 4 SGB IX), ggf. aber auch Leistungen zur beruflichen oder medizinischen Teilhabe (z.B. Therapie, § 42 SGB IX); zu den Leistungsformen vgl. auch Teilhabeleistungen für junge Menschen mit seelischen Behinderungen.

Literatur
  • Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands, (CRPD/C/DEU/CO/1), 2015, III. A. Nr. 8 (a).
  • v. Boetticher, Arne/Meysen, Thomas (2022): § 35a, in: Münder, Johannes/Meysen, Thomas/Trenczek, Thomas, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe, 9. Aufl., Baden-Baden.
  • Schönecker, Lydia (2019). Auswirkungen des BTHG auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, heilpädagogik.de 34 (3), S. 18–23.
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