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Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

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Aufgaben und Handlungsfelder > Hilfen zur Erziehung > Formen der Hilfen zur Erziehung

Vollzeitpflege

Vollzeitpflege bezeichnet die Unterbringung eines Kindes/ Jugendlichen in einer anderen Familie. Sie kann als befristete oder dauerhaft angelegte Hilfe zur Erziehung realisiert werden. Ziel ist es, Kindern/Jugendlichen, die nicht bei ihren Eltern leben können, ein Aufwachsen in familiärem Rahmen zu ermöglichen.

Die Vollzeitpflege folgt einem „offenen Familienbegriff“, der verschiedenste Familienkonstellationen einschließt.

Zur Gewährleistung des Erhalts persönlicher Bindungen haben Eltern einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind (§ 37).

Pflegepersonen haben einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung (§ 37 a).

Erläuterung

Die Vollzeitpflege (auch Familienpflege genannt) ist neben der Heimziehung eine traditionelle Form der Erziehung außerhalb des Elternhauses. Die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ist eine Hilfe zur Erziehung für deren Gewährung in der Regel die Voraussetzungen des § 27 SGB VIII (Hilfe zur Erziehung) vorliegen müssen. Sie kommt aber auch zur Anwendung für Kinder und Jugendliche, die nach § 35a SGB VIII (Hilfen für seelisch behinderte Kinder/Jugendliche) oder nach § 41 SGB VIII (Hilfen für junge Volljährige) untergebracht sind. Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie können nach § 80 SGB IX zudem für junge Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen erbracht werden. Bei Minderjährigen ist hierzu eine Erlaubnis nach § 44 SGB VIII erforderlich.

Bei den Pflegefamilien handelt es sich in der Regel um solche Familien, die entweder Kinder aus ihrer Verwandtschaft aufnehmen oder sich aus humanistischen oder sozialen Gründen entschließen, fremden Kindern/Jugendlichen ein familiäres Zuhause zu bieten. Eine spezifische Ausbildung der Pflegeeltern ist – außer bei besonders intensiven Formen der Familienpflege – nicht erforderlich. Das Jugendamt muss die Eignung der Familien prüfen. Werbung, Schulung, Begleitung und Beratung von Pflegeeltern übernehmen zumeist spezialisierte (professionelle) Pflegekinderdienste, die beim Jugendamt oder bei freien Trägern angesiedelt sind. Pro Fachkraft sollten dabei nicht mehr als 25 Pflegefamilien betreut werden.

Für spezielle Formen der Vollzeitpflege, die bereit sind, besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder oder Jugendliche aufzunehmen (professionelle Erziehungsstellen, heilpädagogische Pflegestellen) sind intensivere Betreuungsrelationen vorzusehen.

Die Pflegefamilien erhalten für die Aufnahme der Kinder/Jugendlichen ein Pflegegeld, welches die mit der Betreuung zusammenhängenden Sachaufwendungen für den jungen Menschen sowie einen (minimalen) steuerfreien Pauschalbetrag für die Anerkennung der Erziehungsleistung umfasst. In Sonderpflegestellen für Kinder mit einem besonderen Betreuungsbedarf wird allerdings häufig fallbezogen ein höherer finanzieller Betrag für die Sachkostensätze und die Honorierung der Erziehungsleistungen gezahlt.

Bei der Vermittlung von Kindern in Vollzeitpflegestellen liegt ein „offener“ Familienbegriff zugrunde. Jugendhilfe darf sich daher bei der Auswahl von Pflegepersonen nicht am Modell der traditionellen Kleinfamilie orientieren, sondern hat auch unverheiratete Paare, eingetragene Lebenspartnerschaften, Einzelpersonen, in größeren und anderen Haushaltsgemeinschaften lebende Personen zu berücksichtigen, wenn diese für dieses konkrete Pflegekind eine erfolgversprechende Erziehungsarbeit gewährleisten.

Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die Herkunftsfamilien und die Pflegefamilien ist von entscheidender Bedeutung, welche Perspektive mit der Unterbringung verbunden ist. In § 33 wird auf die entscheidende Differenzierung hingewiesen: Vollzeitpflege kann „eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten“.

Befristete Pflege: Sie kann als Kurzzeitpflege bei einem befristeten Ausfall der Eltern die Versorgung und Erziehung eines Kindes übernehmen.

Dauerpflege: In diesen auf Kontinuität angelegten Pflegeverhältnissen werden Minderjährige auf Dauer in einer Pflegefamilie untergebracht.

Durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) von 2021 wurde in § 1632 Absatz 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung – von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson – geschaffen, zu bestimmen, dass der Verbleib bei der Pflegeperson auf Dauer ist, wenn

  1. „... sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz angebotener geeigneter Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben und eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist” und
  2. „... die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“

Diese Anordnung ist jedoch „auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet“ (§ 1696 Abs. 3 BGB).

Eltern, deren Kinder sich in Vollzeitpflege oder Heimerziehung befinden, haben einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind (§ 37 Abs. 1 SGB VIII). Korrespondierend haben auch Pflegepersonen einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung (§ 37a SGB VIII).

Im Jahr 2021 lebten insgesamt 77.904 Kinder und Jugendliche im Rahmen der Hilfen zur Erziehung (§ 27 SGB III) und 9.425 junge Erwachsene im Rahmen der Hilfen für junge Erwachsene (§ 41 SGB VIII) in Pflegefamilien. (vgl. Quantitative Verteilung der Hilfen zur Erziehung).

Literatur
Merkliste