Unter Kindeswohlgefährdung versteht die deutsche Rechtsprechung „eine gegenwärtig in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“. Wenn Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, solche existenziellen Gefahren von Kindern abzuwenden oder sie gar selbst verursachen, hat der Staat die Aufgabe, diese Kinder und Jugendlichen vor diesen Gefahren zu schützen (staatliches Wächteramt).
Die rechtlichen Bestimmungen für die Umsetzung des staatlichen Wächteramtes werden primär im SGB VIII, dem Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und dem Verfahrensrecht des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Familienverfahrensgesetz, FamFG) konkretisiert. In diesen Gesetzen ist die wechselseitige Verpflichtung zum Einbezug bzw. zur Mitwirkung des Jugendamtes in familiengerichtlichen Verfahren festgelegt.
§ 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) zielt auf die Umsetzung des staatlichen Wächteramtes. Der Paragraf beschreibt in Absatz 1 die Tatbestandsvoraussetzungen, das sind die gesetzlich definierten unterschiedlichen Formen einer Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls sowie die Bereitschaft und Kompetenz der Eltern, mögliche Gefahren selbstständig oder mit Hilfe(n) abzuwenden. In Absatz 3 sind mögliche Eingriffe des Familiengerichts aufgelistet. Dazu zählen Gebote, Verbote, Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge sowie die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge. Eingriffe des Familiengerichts müssen gemäß § 1666a BGB den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Vorrang öffentlicher Hilfen gewährleisten. Die Trennung von Eltern und Kindern wird als Ultima Ratio (letztes Mittel) ausgelegt.
Dem Jugendamt als exekutive Instanz werden eigenständige Aufgaben in dem Verfahren zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zugeschrieben (insb. in den §§ 8a und 50 SGB VIII). Die Aufgaben des Jugendamtes gemäß § 50 SGB VIII beziehen sich in erster Linie darauf, die Entwicklungsbedarfe des Kindes ausreichend in familiengerichtliche Verfahren einzubringen. Zudem informiert das Jugendamt das Familiengericht über bisherige und noch zu Verfügung stehende Hilfeleistungen. In der Regel erfährt das Jugendamt im Rahmen seiner Tätigkeiten von Gefährdungen des Kindeswohls und versucht diese durch sozialpädagogische Interventionen zu beseitigen. Gelingt dies nicht, weil die Eltern nicht an der Einschätzung des Gefährdungsrisikos mitwirken oder bestehende Gefahren nicht abwenden (können), schaltet das Jugendamt das Familiengericht ein. Der Anrufung liegt die Intention zugrunde, eine Entscheidung im familiengerichtlichen Rahmen herbeizuführen, z.B. eine Einschränkung oder ein Entzug elterlicher Sorgerechte für das Kind und Übertragung dieser Rechte auf einen Vormund oder Pfleger (vgl. Mitwirkung in Verfahren vor dem Familiengericht bei Trennung/Scheidung von Eltern mit minderjährigen Kindern), um dieses vor einer weiteren Gefährdung seines Wohls zu schützen. Das Jugendamt als Teil der Verwaltung ist zu Eingriffen in das Elternrecht selbst nicht befugt.
Ausschließlich das Familiengericht ist als Instanz der Rechtsprechung (als judikative Instanz) dazu legitimiert, zu entscheiden, ob aufgrund der Gefährdungslage für das betroffene Kind ein Eingriff in die Elternautonomie – jenseits einer kurzfristigen und vorübergehenden Inobhutnahme – gerechtfertigt ist. Das Familiengericht ist die einzige Institution, die durch das Gesetz (§ 1666 BGB) ermächtigt ist, Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht vorzunehmen. Als Grundlage hierfür hat es die vorgetragenen Sachverhalte und Einschätzungen zur Situation des Kindes (Kindeswohlgefährdung) ebenso zu prüfen, wie das sachgerechte Handeln des Jugendamtes zur Gefährdungsabwehr (z.B. durch Hilfsangebote).
Im Jahr 2022 wurde von Familiengerichten in Deutschland insgesamt 28.518-mal in elterliche Sorgerechte eingegriffen, davon waren:
(siehe hierzu auch Vormundschaften und Pflegschaften)
Seit dem 1. September 2009 regelt das FamFG die Gestaltung familiengerichtlicher Verfahren in Kindschaftssachen. Hierzu gehören ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot (§ 155 FamFG), die Möglichkeit einer frühzeitigen Erörterung der Kindeswohlgefährdung im Gericht und die Möglichkeit, einstweilige Anordnungen zu treffen (§ 157 FamFG) sowie die Einsetzung von Verfahrensbeiständen für die Kinder und Jugendlichen, die deren Willen in das Verfahren einbringen sollen (§ 158 FamFG). Darüber hinaus kann ein Sachverständigengutachten eingeholt werden (§ 163 FamFG).
Zentrales Moment des familiengerichtlichen Verfahrens ist zudem die Verpflichtung des Gerichtes, Kinder und Jugendliche anzuhören (§ 159 Persönliche Anhörung des Kindes) und die Personensorgeberechtigen zu beteiligen (§ 160 Anhörung der Eltern).