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Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

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Aufgaben und Handlungsfelder > Andere Aufgaben

Inobhutnahme

Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, Minderjährige in Obhut zu nehmen (§ 42 SGB VIII), wenn

  • ein Kind oder Jugendliche*r um Inobhutnahme bittet,
  • eine dringende Kindeswohlgefährdung vorliegt oder
  • ein ausländisches Kind oder ausländische Jugendliche unbegleitet nach Deutschland einreisen.

Für unbegleitete minderjährige Ausländer*innen (UmA) bzw. Flüchtlinge gibt es ein vorgeschaltetes Verfahren der vorläufigen Inobhutnahme (§ 42 a-f SGB VIII).

2022 gab es in Deutschland ca. 66.400 Inobhutnahmen:

  • 8.000 auf eigenen Wunsch eines Kindes oder Jugendlichen,
  • 29.800 wegen einer dringenden Kindeswohlgefährdung,
  • 28.600 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Erläuterung

Mädchen mit langen Haaren, das sich die Ohren mit ihren Händen zuhält / Girl with long hair covering her ears with her hands

Inobhutnahme ist zunächst einmal das – voraussetzungslose – Recht von Kindern und Jugendlichen, die um Inobhutnahme bitten, weil – aus welchen Gründen auch immer – die momentane Lebenssituation als unerträglich empfunden wird. 

Zur Inobhutnahme „berechtigt und verpflichtet“ ist das Jugendamt darüber hinaus,

  • wenn „eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes die Inobhutnahme erfordert“ und wenn
  • „ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorgeberechtigte noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten“. (§ 42 Abs. 1 SGB VIII)

Die Inobhutnahme ist die vorläufige Unterbringung bei einer geeigneten Pflegeperson, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform (§ 42 Abs. 1 SGB VIII). Sie dient der Klärung der zugrundeliegenden Krise mit dem Kind oder dem/der Jugendlichen und der schnellstmöglichen Erarbeitung einer Perspektive mit den Eltern und ihren Kindern bzw. Vormunden und ihren Mündeln.

Eine Inobhutnahme eines Kindes oder eines/einer Jugendlichen durch das Jugendamt setzt entweder das Einverständnis der Personensorgeberechtigten, die unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten sind, voraus (§ 42 Abs. 1 Nr. 1a SGB VIII) oder aber eine Situation, die einen akuten Handlungsdruck zum Schutz des/der Minderjährigen erzeugt, durch den „eine familiengerichtliche Entscheidung“, die ansonsten bei Eingriffen in das Recht der elterlichen Sorge immer eine Voraussetzung ist, „nicht rechtzeitig eingeholt werden kann“ (§ 42 Abs. 1 Nr. 1b SGB VIII). Eine solche Entscheidung des Familiengerichts muss das Jugendamt dann unverzüglich herbeiführen (§ 42 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII).

Während der Inobhutnahme ist das Jugendamt berechtigt, „Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohle des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind“ (§ 42 Abs. 2 SGB VIII).

2015 waren die hohen Zahlen einreisender Flüchtlinge in Deutschland Anlass für neue Regelungen im SGB VIII zur „Vorläufigen Inobhutnahme“ (§ 42a ff. SGB VIII) unbegleiteter minderjähriger Ausländer*innen (UmA). Die „Vorläufige Inobhutnahme“ reguliert Verteilungen zwischen den Bundesländern, die dann zur regulären Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) führen sollen. Ziel dieser Regelungen war es, Kommunen, bei denen sich die Zahl einreisender Minderjähriger weit überproportional häufen, zu entlasten. In den Folgejahren nach 2015 sank die Zahl dieser Personengruppe auf ca. 8.000 in den Jahren 2019/20, stieg aber – vor allem durch den Ukraine-Krieg – im Jahr 2022 wieder auf 28.564 an. Der Schwerpunkt dieser Inobhutnahmen sind 14- bis Unter-18-Jährige. Der Anteil der männlichen Jugendlichen beträgt ca. 90 %. Nach § 42e SGB VIII muss dem Bundestag jährlich Bericht „zur Situation von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen in Deutschland“ erstattet werden. (vgl. BMFSFJ 2023)

Inobhutnahme und vorläufige Inobhutnahme gehören zu den „anderen Aufgaben der Jugendhilfe“ (§ 2 Abs. 3 SGB VIII), die grundsätzlich und letztverantwortlich von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe wahrzunehmen sind (§ 3 Abs. 3 SGB VIII). Nach § 76 Abs. 1 SGB VIII kann der öffentliche Träger den hoheitlichen Akt der Inobhutnahme zwar nicht delegieren, aber anerkannte Träger der freien Jugendhilfe an der Durchführung von Inobhutnahmen beteiligen.

Von den 2022 regulär nach § 42 SGB VIII in Obhut genommenen 37.880 Kindern und Jugendlichen wurden ca. 8.000 auf eigenen Wunsch (Schwerpunkt: 14- bis 18-Jährige, fast 2/3 sind weiblich) und 29.800 wegen einer dringenden Kindeswohlgefährdung (bei annähernd gleicher Verteilung über alle Altersgruppen und Geschlechter) in Obhut genommen.

Gut 46% der 2022 beendeten Schutzmaßnahmen dauerten höchstens zwei Wochen; bei 15% dauerte die Inobhutnahme länger als drei Monate. Ein Großteil der Jungen und Mädchen kehrte danach an den bisherigen Lebensmittelpunkt zu den sorgeberechtigten Eltern, der Pflegefamilie oder in das Heim zurück (38%). Knapp 30% der Betroffenen wurden dagegen erstmalig oder als Folgemaßnahme in Pflegefamilien, Heimen oder betreuten Wohnformen neu untergebracht.

Literatur
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2023): Bericht der Bundesregierung über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in Deutschland (Zugriff: 31.07.2023).
  • Fachgruppe Inobhutnahme (Hrsg.) (2022): Handbuch Inobhutnahme. Grundlagen – Praxis und Methoden – Spannungsfelder. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Frankfurt/M., IGfH-Eigenverlag.
  • Trenczek, Thomas/Düring, Diana/Neumann-Witt, Andreas (2023): Inobhutnahme. Krisenintervention und Schutzgewährung durch die Kinder- und Jugendhilfe, 4. Auflage, München u.a.
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